Am 1.1.2023 ist es soweit: Erstmals tritt ein vom Bund verabschiedetes Gerichtsdolmetschergesetz (GDolmG) in Kraft. Da jedoch sogar von amtlicher Seite erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen, hat der ADÜ Nord eine Initiative zur Beseitigung dieses verfehlten Gesetzes ins Leben gerufen. Teil der Initiative ist eine Spendenkampagne zur Finanzierung einer Verfassungsbeschwerde gegen das GDolmG. Innerhalb von nur neun Wochen sind nun bereits 90 % der hierfür notwendigen Spenden eingegangen.
Die Spendenkampagne war von Anfang an ein Erfolg: Bereits in den ersten vier Wochen nach Beginn der Mitte Oktober gestarteten Spendenaktion hatte der in Hamburg ansässige Übersetzer- und Dolmetscherverband ADÜ Nord die Hälfte des für die Verfassungsbeschwerde notwendigen Kapitals eingeworben. Fünf Wochen weiter ist die Kampagne mit 90 % Fortschritt auf der Zielgeraden. Jetzt startet der Endspurt.
Der Initiator der Spendenkampagne, der 1. Vorsitzende des ADÜ Nord, Jörg Schmidt, zeigt sich entschlossen: „Die Vorstellung, dass ein verfassungswidriges und auch sonst mangelhaftes Gesetz wie das GDolmG unser aller berufliche Zukunft in Frage stellt, ist unerträglich und zwingt uns zum Handeln. Mit dem Erfolg unserer Kampagne ist deutlich geworden, dass insbesondere den beeidigten Dolmetscherinnen und Dolmetschern sehr viel an der Beseitigung des GDolmG liegt. Dieser Befreiungsschlag ist zudem die Voraussetzung dafür, dass zukünftig eine sinnvolle und tragfähige Reform unseres Berufsrechts angegangen werden kann.“
Jetzt kommt es darauf an, weitere Kolleginnen und Kollegen zu erreichen und ebenfalls zu einer Spende zu motivieren. Bis zum Jahresende soll das Ziel von mindestens 42.000 Euro erreicht werden.
Beim GDolmG klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander
Der Bund beabsichtigt mit dem GDolmG eine bundesweite Vereinheitlichung des Beeidigungsrechts der zu Gerichtsverhandlungen zugezogenen Dolmetscherinnen und Dolmetscher.
Leider ist das GDolmG jedoch nicht geeignet, dieses Ziel zu erreichen
Eine bundesweite Vereinheitlichung der Beeidigungsvorschriften ist zwar grundsätzlich eine gute Idee, der Bund ist nach dem Grundgesetz jedoch nicht einmal für die Verabschiedung von neuen Beeidigungsvorschriften für die „Gerichtsdolmetscher“ zuständig. Auch konzeptionell bietet das GDolmG keine innovativen und zielführenden Ansätze, um gute Dolmetschqualität in der Rechtspflege sicherzustellen.
Ein zentraler Fehler: Die durch das GDolmG geschaffene Zersplitterung des Berufsstandes in „Gerichtsdolmetscher“ einerseits sowie Übersetzende und Gebärdensprachdolmetschende andererseits ist sachlich völlig verfehlt. Das ab 2023 gegebene Nebeneinander von bundes- und landesrechtlichen Beeidigungsvorschriften für unterschiedliche sprachmittlerische Berufsträger löst keinerlei Probleme, sondern sorgt bereits heute für ein regulatorisches Durcheinander, das allen Beteiligten das Leben schwer macht.
Der ADÜ Nord spricht sich selbstverständlich für eine Modernisierung und Verbesserung des Berufsrechts und dementsprechend auch für eine qualitätssichernde, zukunftsweisende Reform aus. Ein solches Vorhaben hätte jedoch sorgfältig und in Abstimmung mit dem Berufsstand vorbereitet und vor allem verfassungskonform auf den Weg gebracht werden müssen.
Das GDolmG ist jedoch verfassungswidrig zustande gekommen und verletzt die Grundrechte vieler Gerichtsdolmetscher und Gerichtsdolmetscherinnen. Es fehlt an einer rechtsstaatlich gebotenen Bestandsschutzregelung für unbefristet „Altvereidigte“, d. h., es drohen tausende unverhältnismäßige Eingriffe in die Berufsfreiheit von beeidigten Dolmetschenden sowie Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz.
„Noch nie gab es so viel Verunsicherung in der Kollegenschaft, ob und wie es mit der eigenen Berufstätigkeit weitergeht“, sagt Jörg Schmidt vom ADÜ Nord. Bei ihm gehen als Antwort auf die regelmäßigen Kampagnen-Newsletter laufend neue E-Mails von tief verunsicherten Berufskolleginnen und -kollegen ein.
Parteipolitik hat eine fundierte Reform des Beeidigungsrechts bisher verhindert
Der ADÜ Nord hat die Entstehung des GDolmG von Anfang an begleitet. Er hat trotz sehr konstruktiver Mitwirkung im Gesetzgebungsverfahren jedoch beobachten müssen, dass die jeweils obersten politischen Entscheider in Exekutive und Legislative eine fundierte Reform des Beeidigungsrechts geradezu verhindert haben. Letztlich hat parteipolitisch motivierte Übereilung dafür gesorgt, dass eine handwerklich saubere Vorbereitung des Gesetzesvorhabens nicht stattfinden durfte und sogar verfassungsrechtliche Bedenken aus dem eigenen Hause ignoriert wurden.
Ein konkretes Beispiel: Im GDolmG ist hinsichtlich der Qualifikationsanforderungen an Dolmetschende von „erforderlichen Fachkenntnissen“ die Rede. Was genau darunter zu verstehen ist, lässt der Gesetzgeber bewusst offen, obwohl die internationale Norm DIN ISO 20228 über die Qualifikationsanforderungen an Dolmetschende im Rechtswesen sehr detaillierte Vorgaben macht. Auch sind keine Regelungen vorhanden, die die Zusammenarbeit von Sprachmittlung und Justiz stärken könnten.
Der Ausweg aus dem Dilemma
Die durch das GDolmG entstehenden Probleme können nur durch eine Radikallösung beseitigt werden. Eine Nachbesserung des GDolmG ist keine Option, da der Bund nach dem Grundgesetz auch für Novellierungen keine gesetzgeberische Zuständigkeit hat.
Daher muss es das Ziel sein, das GDolmG vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklären zu lassen. Eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz ist innerhalb eines Jahres nach dem Inkrafttreten des betreffenden Gesetzes zulässig. In diesem Fall also spätestens bis zum 31.12.2023.
Für alle interessierten Unterstützerinnen und Unterstützer gut zu wissen: Die finanziellen Beiträge zur Spendenkampagne können einkommenssteuerlich als Betriebsausgabe, d. h., als freiwillige berufsbezogene Zuwendung geltend gemacht werden.
Weitere Informationen dazu gibt es auf der Website des ADÜ Nord. Dort finden Sie weiterführende Links mit Dokumentationsmaterialien zur Entstehungsgeschichte und zu den hinreichenden Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde gegen das GDolmG wie auch die Termine der regelmäßig zum Thema stattfindenden Zoom-Konferenzen.