Der geänderte Entwurf des Gerichtsdolmetschergesetzes (GDolmG) wurde am 15. November 2019 vom Bundestag angenommen und soll am 1. Juli 2021 in Kraft treten. Der Bundesrat jedoch stufte den Regierungsentwurf in seiner Stellungnahme als formell verfassungswidrig und schlug daher vor, das GDolmG aus dem Gesetzespaket zur Modernisierung des Strafverfahrens herauszulösen. Nimmt die Regierungskoalition ein legislatives Scheitern des GDolmG bewusst in Kauf und wird es dem Bundesrat gelingen, das GDolmG auf legislativer Ebene zu verhindern?

Zuletzt ging alles sehr schnell. Nach Monaten ministerieller Vorbereitungen und trotz vieler kritischer Stellungnahmen von Sprachmittlerverbänden gegenüber dem zuständigen Bundesjustizministerium (BMJV) ist ein nur hinsichtlich des Inkrafttretens geänderter Entwurf des Gerichtsdolmetschergesetzes (GDolmG) am 15. November 2019 vom Bundestag angenommen worden. Das Inkrafttreten soll nun am 1. Juli 2021 erfolgen, um den Bundesländern mehr Zeit für die Umsetzung der neuen Regelungen in die Praxis zu geben. 

Damit ist das GDolmG aber noch nicht endgültig Gesetz. Es liegt nun insbesondere am Bundesrat, was weiter mit dem GDolmG geschieht. In seiner zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens abgegebenen Stellungnahme zum Regierungsentwurf stuft der Bundesrat das GDolmG als formell verfassungswidrig ein. Dem Bund fehle wegen der schwerpunktmäßigen Regelung von Ausbildungsfragen bereits die Gesetzgebungskompetenz für das GDolmG. Das Vorhaben stelle letztlich einen unzulässigen Eingriff in die Bildungshoheit der Länder dar. Außerdem sei die Einführung des Gesetzes sachlich weder notwendig noch sinnvoll. Daher hatte der Bundesrat angeregt, das GDolmG aus dem Gesetzespaket herauszulösen. Eine parlamentarische Diskussion über die vom Bund gewünschten Neuregelungen sei verfrüht, d. h. Bund und Länder sollten zunächst einmal Grundsatzgespräche über eine Reform des Gerichtsdolmetscherwesens führen. 

Die Regierungskoalition im Rechtsausschuss des Bundestags hat die obigen Bedenken in der weiteren Befassung mit dem GDolmG jedoch nicht erörtert, sondern durch Herausnahme der kritischen Stellungnahme des Bundesrats aus den parlamentarischen Beratungen praktisch ignoriert. Offensichtlich sollte eine sachlich sicherlich erforderliche Diskussion über die Argumente der Bundesländer jedenfalls im BTag-Rechtsausschuss von vornherein vermieden werden. Nun wird der Bundesrat das Gesetzesvorhaben voraussichtlich weiterhin bekämpfen. Dies kann je nach Rechtscharakter des Gesetzespakets entweder durch Vorenthaltung einer erforderlichen Zustimmung oder durch einen Einspruch des Bundesrats gegen das GDolmG geschehen. Insoweit wird man das weitere Gesetzgebungsverfahren und insbesondere das weitere Agieren des Bundesrats abwarten müssen. Für den Fall, dass die Regierungskoalition im Bundestag weiter auf ein „Durchdrücken“ des GDolmG setzen und es dem Bundesrat nicht gelingen sollte, das GDolmG auf legislativer Ebene zu verhindern, zeichnet sich bereits heute eine Anrufung des Bundesverfassungsgerichts ab, um die Rechtsfrage der Gesetzgebungskompetenz des Bundes gerichtlich zu klären. Es könnte aber auch sein, dass die Regierungskoalition ein legislatives Scheitern des GDolmG insgeheim bewusst in Kauf nimmt, wenn denn sichergestellt ist, dass das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens im Übrigen verabschiedet wird. 

Wohlwollende Betrachter könnten in alledem nun einen spannenden Polit-Krimi sehen, dessen Ausgang sie entgegenfiebern. Die betroffenen Sprachmittler*innen müssen über die obigen Vorgänge aus staatsbürgerlicher Sicht jedoch befremdet sein, ja sie dürfen sogar geradezu wütend werden. Denn Anhaltspunkte für eine solide und handwerklich saubere gesetzgeberische Sacharbeit sind kaum zu erkennen. Was läuft alles falsch? Nun, abgesehen einmal von den vielen inhaltlichen Schwächen des GDolmG, zu denen der ADÜ Nord bereits in seinem Positionspapier ausführlich Stellung genommen hat, geht die Regierungskoalition auch verfahrenstechnisch mehr als fragwürdig vor. 

Erstens hat die Bundesregierung, hier vertreten durch das BMJV, die betroffenen Sprachmittlerverbände zur Einreichung von schriftlichen Stellungnahmen zum Gesetzesvorhaben geladen, dann jedoch beinahe parallel hierzu mit größter Eile das einschlägige Gesetzgebungsverfahren betrieben. Zweitens wurden entgegen der sonst üblichen Praxis bei großen Gesetzesvorhaben keine vorbereitenden mündlichen Anhörungen von betroffenen Berufs- und Fachverbänden durchgeführt. Hierdurch muss in der Sprachmittlungsbranche der Eindruck entstehen, dass eine inhaltliche Berücksichtigung der berufsverbandlichen Eingaben von vornherein nicht vorgesehen war. Dieser Eindruck verstärkt sich noch dadurch, dass zu der später eilig anberaumten Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages keine geeigneten Vertreter*innen der Sprachmittlungsbranche als Sachverständige eingeladen wurden.

Diese Art des Vorgehens des Bundesgesetzgebers kann insbesondere die allgemein vereidigten Berufskolleginnen und Kollegen nicht kalt lassen. Wenn eine Bundesregierung in einer rechts- und berufspolitischen Angelegenheit von großer Tragweite für den Rechtsstaat und die Gesellschaft insgesamt derart schlampig und leichtfertig vorgeht und wenn er zudem einer Auseinandersetzung mit sachlichen Gegenargumenten und fundierten Verbesserungsvorschlägen konsequent ausweicht, dann müssen wir uns Sorgen um unser Gemeinwesen machen.

Schon aus staatsbürgerlicher Eigenverantwortung sind wir aufgerufen, uns noch intensiver als bisher in den politischen Prozess einzumischen und die Stimme zu erheben für eine Politik, die an den realen Bedürfnissen der Rechtspflege und insbesondere an den Verfahrensgrundrechten von Betroffenen orientiert ist. Der Gesetzgeber hat hier eine Bringschuld. Es ist an ihm, die tatsächlich vorhandenen und bereits ausführlich beschriebenen Probleme wahrzunehmen und durch geeignete gesetzgeberische Maßnahmen nachhaltige Reformen in die Wege zu leiten. Aus dieser Verantwortung dürfen wir die politisch Verantwortlichen nicht entlassen. Wie immer in der Demokratie erfolgt die Kontrolle durch den Souverän spätestens an der Wahlurne.

Der ADÜ Nord wird sich auch weiterhin für gute Sprachmittlung in der Rechtspflege, d. h. insbesondere für die Schaffung der erforderlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen einsetzen. Neue politische Initiativen werden zu starten sein. Wir hoffen dabei auf die Unterstützung der Kollegenschaft, denn nur gemeinsam wird es möglich sein, echte Fortschritte im Sinne einer guten Berufs- und Rechtspolitik zu erzielen.

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KURZVERSION:

Nach monatelanger Vorbereitungen des Ministeriums und trotz vieler kritischer Stellungnahmen von Sprachmittlerverbänden gegenüber dem zuständigen Bundesjustizministerium (BMJV) ist ein nur hinsichtlich des Inkrafttretens geänderter Entwurf des Gerichtsdolmetschergesetzes (GDolmG) am 15. November2019 vom Bundestag angenommen worden. Das Inkrafttreten des Gesetzes soll nun am 1. Juli 2021 erfolgen, um den Bundesländern mehr Zeit für die Umsetzung der neuen Regelungen in die Praxis zu geben. 

Damit ist das GDolmG aber noch nicht endgültig Gesetz. In seiner zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens abgegebenen Stellungnahme zum Regierungsentwurf stuft der Bundesrat das GDolmG als formell verfassungswidrig ein. Dem Bund fehle die Gesetzgebungskompetenz für das GDolmG, denn das Vorhaben stelle letztlich einen unzulässigen Eingriff in die Bildungshoheit der Länder dar. Außerdem sei die Einführung des Gesetzes sachlich weder notwendig noch sinnvoll. Daher hatte der Bundesrat angeregt, das GDolmG aus dem Gesetzespaket herauszulösen. 

Die mit Stimmenmehrheit versehene Regierungskoalition im Rechtsausschuss des Bundestags hat diese Bedenken jedoch nicht erörtert, sondern ignoriert. Nun wird der Bundesrat das Gesetzesvorhaben voraussichtlich weiterhin bekämpfen, indem er die erforderliche Zustimmung enthält oder Einspruch erhebt. Sollte die Regierungskoalition versuchen, das GDolmG „durchzudrücken“ und es dem Bundesrat nicht gelingen, dies auf legislativer Ebene zu verhindern, könnte es zwecks gerichtlicher Klärung der Gesetzgebungskompetenz sogar noch zur Anrufung des Bundesverfassungsgerichts kommen. Es könnte aber auch sein, dass die Regierungskoalition ein Scheitern des GDolmG in Kauf nimmt, wenn sichergestellt ist, dass das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens im Übrigen verabschiedet wird. 

Fazit: Die Bundesregierung, hier insbesondere das Bundesjustizministerium,  haben  nicht solide und handwerklich sauber gearbeitet. Darüber hinaus geht die Regierungskoalition verfahrenstechnisch mehr als fragwürdig vor, ganz zu Schweigen von den vielen inhaltlichen Schwächen des GDolmG, zu denen der ADÜ Nord in seinem Positionspapier ausführlich Stellung genommen hat.

Die Bundesregierung hat die Sprachmittlerverbände zwar dazu eingeladen, schriftliche Stellungnahmen einzureichen, dann jedoch beinahe parallel hierzu mit größter Eile das einschlägige Gesetzgebungsverfahren betrieben. Zudem wurden keine mündlichen Anhörungen von betroffenen Sprachmittler-Berufs- verbänden durchgeführt. Hierdurch entsteht der Eindruck, dass eine inhaltliche Berücksichtigung der berufsverbandlichen Eingaben von vornherein nicht vorgesehen war

Was also tun angesichts solcher Verhältnisse? Nun, vor allem eines nicht, nämlich resignieren und aufgeben. Der ADÜ Nord wird sich auch weiterhin für gute Sprachmittlung in der Rechtspflege und insbesondere für die dort erforderlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen einsetzen und neue politische Initiativen starten. Wir hoffen dabei auf die Unterstützung der Kollegenschaft, denn nur gemeinsam wird es möglich sein, echte Fortschritte im Sinne einer guten Berufs- und Rechtspolitik zu erzielen.