Zur verleihung des Hamburger Literaturpreises 2021 an Maralde meyer-minnemann
Ausgezeichnet !
Maralde Meyer-Minnemann, freie Literaturübersetzerin, vereidigte Dolmetscherin und Übersetzerin und ADÜ-Nord-Mitglied, erhält den Hamburger Literaturpreis 2021 in der Kategorie Literarische Übersetzungen für den Roman „Bis die Steine leichter sind als Wasser“ / „Até que as pedras se tornem mais leves que a água“ des portugiesischen Autors António Lobo Antunes.
Weitere Preise in dieser Kategorie gehen an Brigitte Große für eine Übersetzung aus dem Französischen und Markus Lemke für eine Übersetzung aus dem Hebräischen. Die Preisverleihung fand am 6. Dezember 2021 im Hamburger Literaturhaus statt.
Seit den Achtzigerjahren überträgt Maralde Meyer-Minnemann erzählende Literatur der Gegenwart aus dem Spanischen und Portugiesischen, Werke von Juan Goytisolo, Mario Vargas Llosa, Manuel Vásquez Montalbán, Inês Pedrosa, Lídia Jorge. Sie ist Hauptübersetzerin des Brasilianers Paulo Coelho und sie ist die deutsche Stimme von António Lobo Antunes. Für ihre Arbeit wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet, nun auch für ihre deutsche Version des jüngsten Romans von Lobo Antunes, in dem es um die Gräuel des Kolonialkriegs und ihre Nachwirkungen bis in die portugiesische Gegenwart geht.
„Weltliteratur wird von Übersetzern gemacht“, befand seinerzeit ein anderer portugiesischer Schriftsteller, der Nobelpreisträger José Saramago.
Dies klingt auch in der Laudatio auf Maralde Meyer-Minnemann an:
Wer sich in Deutschland für das Werk von António Lobo Antunes begeistert, für seine rauschhafte Sprache, die ausdrucksstarken Metaphern, tut dies wahrscheinlich dank der Worte von Maralde Meyer-Minnemann. Ihr gelingt es mit ihren nunmehr 30 Jahren Antunes-Erfahrung, dass sich die Vielfalt der Figuren, der Stimmen, die sich ins Wort fallen, aufeinander ein- und aneinander vorbeireden, mit dem ihnen eigenen Klang und Vokabular, mal in atemlosen, verästelten langen Sätzen, mal in kurzen Kommandos in derselben Vielfalt auch in der deutschen Fassung wiederfindet. Sie erschließt sich das Werk Schicht um Schicht und überliefert so auch die subtilsten Andeutungen – und dies mit einer bewundernswerten Leichtigkeit, aber auch mit einer Genauigkeit, die im besten Sinne verstört.
Im Gespräch beschreibt Maralde Meyer-Minnemann als Herausforderungen bei der Übersetzung die Komplexität des Textes und das Problem, dass Portugiesisch und Deutsch eigentlich nicht zusammen gehen. Zum einen gebe es beispielsweise den periphrastischen Infinitiv und das Gerundium, beides Verlaufsformen, die im Deutschen keine Entsprechung haben. Antunes schaffe dadurch, dass er über lange Strecken allein diese Verbformen und keine Verben mit Zeitformen benutzt, eine „schwebende“, wie er sagt „afrikanische Zeit“, die im Deutschen kaum wiederzugeben sei. Zum anderen sei Antunes‘ Schreibstil komplex, assoziativ. Er zeichne sich durch ineinander verwobene Sätze, mit direkter Rede durchsetzte Sätze, ständig wechselnde Zeitebenen aus. Eine Handlung ergebe sich allein aus dem, was seine Figuren sagen. Der Punkt stehe übrigens erst am Ende eines Kapitels.
„Being Lobo Antunes“
Eine der wichtigsten Eigenschaften für sie als Literaturübersetzerin sei Empathie. Wie in dem Film „Being John Malkovich“, in dem jemand durch ein kleines Türchen Menschen Zutritt zu John Malkovichs Hirn verschafft, versucht die Übersetzerin, sich in Lobo Antunes Gehirn, in seine Vorstellung hineinzuschleichen und durch seine Augen die Figuren zu sehen, die er entwickelt, zu hören, was sie sagen, nachzuempfinden, was sie fühlen. Sie hört die Stimmen und stellt sich vor, was sie beschreiben; anhand der Stimmen entsteht das Kino im Kopf.
Und bitte keine Angst vor groben Worten. Wenn es gemein oder obszön wird, ja, dann müsse man eben „voll auf die Tube drücken“.
Weil Maralde Meyer-Minnemann sich aber jede Szene vorstellen muss, alles riechen, hören, schmecken muss, bei diesem Buch die ganze Brutalität des Krieges, sei der Übersetzungsprozess extrem anstrengend und psychisch erschöpfend gewesen.
Was ist das Faszinierende am Werk António Lobo Antunes‘?
Seine Romane sind Portugal-Geschichtsbücher und dennoch sind es keine historischen Romane. Die Geschichte erscheint durch die Erinnerungen der Figuren, durch Retrospektiven und psychologische Flashbacks. Zutage gefördert werden dabei der Zweite Weltkrieg, Angola und die Kolonialzeit, der Faschismus, die Nelkenrevolution. Es geht um Vergangenheitsbewältigung, Auseinandersetzung mit der portugiesischen Gesellschaft und der Geschichte Portugals, so auch in diesem Roman. Zu Wort kommen dabei Figuren aus allen Gesellschaftsschichten jeweils in ihrer authentischen Sprache und die Handlungen spielen überall, auf dem Dorf, in der Stadt. So entsteht im Gesamtwerk von Lobo Antunes ein Querschnitt durch die Gesellschaft, quasi eine „Comédie humaine portugaise“.
Kann Lobo Antunes die Übersetzerin noch überraschen?
Jedes Buch sei wie eine Wundertüte, sagt Meyer-Minnemann, ein Abenteuer nicht selten über 500 Seiten. Sie lese die Bücher nie vorher, sondern fange so mit dem Übersetzen an wie jemand, der ein Buch schreibt, mit der ersten Zeile. Erst wenn alles durchübersetzt ist, reist sie mit ihrem Fragenkatalog zu Antunes. Sie will die exakte Bedeutung von ihm wissen, das ganz genaue Bild. Sind Ausdrücke seine Eigenkreationen oder nur ihr unbekannte Wendungen? Sie übersetze wie mit einem Mikroskop, sagt Antunes.
Am Ende …
… muss alles stimmen. Das hypnotische Fließen von Antunes‘ Prosa muss präsent bleiben. Das gilt für jeden Satz, aber auch für die Kapitel. Sie müssen ausklingen. Das Deutsche sperrt sich dem häufig, weil Wörter beispielsweise auf „t“ enden, die Verben am Ende stehen. Meyer-Minnemann versucht, die Musikalität des Originals mit seinen häufig wortwörtlichen Wiederholungen, leitmotivisch wiederkehrenden Satzteilen, seinem Rhythmus auch im Deutschen rüberzubringen und dabei Lautspiele zu übernehmen und die Sprachmelodie zu erhalten – damit der Text fließt …
Maralde Meyer-Minnemann sei besonders glücklich über den Preis, weil hier eine Frau versucht hatte, „Being Lobo Antunes“, und dieses mit einem Preis gekrönt wurde. Die Kollegenschaft des ADÜ Nord freut sich mit ihr über diese Auszeichnung. Herzlichen Glückwunsch!
Alle Preisträger in der Kategorie „Literarische Übersetzungen“
- António Lobo Antunes: Bis die Steine leichter sind als Wasser. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. München, Luchterhand Literaturverlag, 2021. Originaltitel: Até que as pedras se tornem mais leves que a água.
- Kim Thúy. Em. Aus dem kanadischen Französisch von Brigitte Große. München, Kunstmann, 2021. Originaltitel: Em.
- Noa Yedlin: Leute wie wir. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke. Kein & Aber, 2021. Originaltitel: Anashim kamonu.
Nachruf Barbara Uecker
Barbara Uecker
12. August 1941 – 16. Juli 2021
Barbara und ich gehörten der einstmals verbreitet tätigen Gruppe von Sprachmittlern an, die ihren Beruf als angestellte Übersetzer und Dolmetscher in den Übersetzungsabteilungen wirtschaftlicher Unternehmen ausüben konnten. Wir waren beide in den Sechzigern Absolventen des damals so geheißenen Auslands- und Dolmetscherinstituts der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz in Germersheim (heute anspruchsvoller klingend Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft), ohne einander dort begegnet zu sein. Wir lernten einander erst Jahre später kennen, obwohl wir beide in Hamburg in Unternehmen der Mineralölindustrie tätig waren, deren Zentralen beinahe alle in Hamburg angesiedelt waren. Es gab keine offiziellen Kontakte zwischen den Übersetzungsabteilungen der damaligen Esso, BP und Texaco/DEA.
Barbara lernte ich erst in den Siebzigern kennen, als ich in meiner Funktion als einer der Vizepräsidenten des BDÜ in meiner Zuständigkeit für die Mitglieder, die als angestellte Dolmetscher und Übersetzer in der Wirtschaft tätig waren, eine Veranstaltungsreihe ins Leben rief und leitete, die unter der Bezeichnung „Praxis und Lehre“ Vertreter eben dieser beiden Felder zusammenführte, die voneinander lernen wollten, was besser gemacht werden kann in der Ausbildung der Sprachmittler. Barbara war als Leiterin der Übersetzungsabteilung der Texaco, später DEA, eine wertvolle Teilnehmerin der Veranstaltungsreihe, die an der Katholischen Akademie Schwerte stattfand. Ihre ruhige, aber bestimmte Art in der Diskussionsbeteiligung zeichnete sie aus. Es brauchte irgendwann nicht besonders viel Überredungskunst, sie zu aktiver Mitarbeit auf der Ebene des BDÜ-Landesverbands Hamburg und Schleswig-Holstein zu bewegen. So gehörte sie schließlich dem LV-Vorstand an und konnte sich als Delegierte ein eigenes Bild vom BDÜ machen. Nach dem Ausscheiden des Landesverbands aus dem BDÜ und der Neugründung als ADÜ Nord, von deren Notwendigkeit sie überzeugt war, hielt ihr Engagement an, und sie war in der Wahrnehmung der Mitglieder sicher bei den Veranstaltungen und Versammlungen weiterhin unübersehbar die ruhige, abwägende Stimme, die eben auch in einem Berufsverband wirken kann, wenn die Berufs- und Lebenserfahrung Diskussionsbeiträge substantiell erscheinen lassen. Ein nicht zu übersehendes Bedürfnis nach Harmonie im Verband war außerdem typisch für Barbara.
Mit zunehmendem Alter und lange nach dem Ausscheiden aus der aktiven Berufstätigkeit wuchs auch bei ihr das Bewusstsein dafür, dass den rasanten Entwicklungen der Berufsausübung nicht mehr so leicht zu folgen ist. Die gesundheitlichen Probleme taten das ihrige, und so kam es dazu, dass Barbara uns, die wir aktiv mit ihr verbunden waren und ihr nahestanden, völlig überraschend nach tiefgreifenden Beeinträchtigungen verließ. Die Zahl derjenigen, die an dem Tag, an dem sie 80 Lebensjahre vollendet hätte, bei der Beisetzung ihrer Urne anwesend waren, darunter auch Berufskolleginnen und -kollegen, mögen als ein Zeugnis für die Wertschätzung des Menschen Barbara Uecker gelten.
Hartmuth Lange