Wie geht es weiter für uns Sprachmittler? Was können wir tun?
Auf dieser Seite gibt es Hintergrundinformationen und eine Einladung zur Protestaktion

#JVEG #ich_kuendige

Am 1.1.2021 ist das geänderte Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) durch Art. 6 des Kostenrechtsänderungsgesetzes 2021 (KostenRÄG 2021) in Kraft getreten, mehr zur Novellierung hier.

Damit gelten ab sofort höhere gesetzliche Regeltarife für sprachmittlerische Leistungen, die die Justiz bei Heranziehung von vereidigten/ermächtigten Sprachmittler/innen in Anspruch nimmt.

Dies ist an sich eine erfreuliche Nachricht. Trotzdem dürfte sich für alle Kolleginnen und Kollegen, die bereits einen Rahmenvertrag betreffend die Vergütung mit Gerichten abge-schlossen haben, zunächst einmal finanziell nichts ändern.

Warum?

Weil der Gesetzgeber die Sprachmittler/innen entgegen begründeter Forderungen unseres Berufsstandes und dem Vorschlag des Bundesjustizministeriums (BMJV) im Rahmen der JVEG-Novellierung 2020/2021 nicht aus der Rahmenvertragsermächtigung des § 14 gestrichen hat.

Damit sind der Abschluss und die Unterhaltung von Rahmenverträgen weiterhin rechtlich zulässig. Die Justiz muss von sich aus nichts ändern und kann die bereits bestehenden, unbefristeten Rahmenverträge mit Sprachmittler/innen schlicht weiter laufen lassen.

Eine automatische Anpassung von Rahmenverträgen an die neuen, höheren Regeltarife findet selbstverständlich nicht statt, das ist gerade das gesetzgeberische Motiv hinter der unveränderten Beibehaltung des § 14 JVEG.

Anders gesagt: In den Genuss der nunmehr erhöhten Regeltarife kommen nur die Kolleginnen und Kollegen, die entweder gar keinen Rahmenvertrag nach § 14 JVEG abgeschlossen oder den Mut haben, einen etwaigen Rahmenvertrag fristgerecht zu kündigen.

Ob die Landesjustizverwaltungen eine Verbesserung der bestehenden Rahmenvertrags-konditionen auf ein Niveau unterhalb der gesetzlichen Regeltarife in Betracht ziehen würde, ist offen. Diese Frage stellt sich für den ADÜ Nord allerdings auch gar nicht, weil jegliche Vergütung unterhalb der neuen gesetzlichen Regeltarife unangemessen niedrig und inakzeptabel ist.

Zur Erinnerung: In Vorbereitung auf die Novellierung des JVEG wurde vom BMJV bei einem Forschungsinstitut eine empirische Marktanalyse in Auftrag gegeben, damit der Gesetzgeber anhand der Analyseergebnisse eine fundierte und angemessene Tarifanpassung vornehmen kann. Diese Marktanalyse hat u. a. ergeben, dass der aktuelle Marktpreis für professionelle Dolmetschleistungen bei ca. 100,00 EUR (netto) pro Stunde liegt.

Dennoch hat sich der Gesetzgeber das Recht herausgenommen, für die obige Leistung im novellierten JVEG nur einen geringeren gesetzlichen Regeltarif von 85,00 EUR (netto) pro Stunde festzulegen. Eine sachlich nachvollziehbare Begründung hierfür gibt es nicht. Es handelt sich schlicht um einen „Justizrabatt“, den der Staat als monopolistischer Nachfrager aufgrund seiner Marktmacht durchsetzen zu können meint.

Allerdings sollten sich die für die Justiz tätigen Kolleginnen und Kollegen bewusst sein, dass hier die Rechnung nicht nur ohne sie als den „Wirt“, sondern sogar bewusst gegen sie gemacht worden ist.

Nur wenn die betroffenen Sprachmittler/innen trotz ihrer wirtschaftlichen Schlechtbehandlung weiterhin mit der Justiz kooperieren, bleibt es bei dem staatlicherseits offensichtlich gewünschten „finanziellen Kurzhalten“ eines ganzen Berufsstandes.

Der ADÜ Nord als eine berufsständische Interessenvertretung kann und wird eine wirtschaft-liche Benachteiligung der von ihm vertretenen Berufskolleg/innen und des Berufsstandes insgesamt keinesfalls als gut und billig bezeichnen.

Wir empfehlen der für die Justiz tätigen Kollegenschaft daher, eine langjährige Phase der übergroßen, letztlich selbstschädigenden Kooperationsbereitschaft gegenüber den zuständigen Stellen zu beenden und durch persönliches, aktives Tun ein neues Kapitel der selbstbewussten Selbstbehauptung aufzuschlagen.

Im Sinne einer Frage der eigenen, wirtschaftlichen Existenz ist jede einzelne Kollegin und jeder Kollege gehalten darüber nachzudenken, ob für sie/ihn nunmehr nicht die Kündigung eines etwa abgeschlossenen Rahmenvertrags nach § 14 JVEG anstehen muss.

Denn eins steht fest: Ohne eine solche Kündigung ist die Schere zwischen dem, was als Regeltarif dolmetschend nach dem JVEG verdient werden kann, und dem, was ein etwaiger Rahmenvertrag vorsieht, seit dem 1.1.2021 noch einmal erheblich zum Nachteil der betroffenen Kolleg/innen auseinander gegangen. Wir reden hier über eine Differenz von mindestens 20,00 € (netto) pro Stunde beziehungsweise einen Tarifunterschied von fast 25 Prozent minus!

Übrigens: Durch die pandemiebedingten Belastungen der öffentlichen Haushalte sollte sich niemand moralisch zu sachlich ungerechtfertigter Bescheidenheit in eigener Sache aufge-rufen fühlen. Die Berufsgruppe der Rechtsanwaltschaft zum Beispiel hat mit dem KostenRÄG 2021 eine flächendeckende Erhöhung der Anwaltsgebühren um ca. zehn Prozent durchgesetzt, wobei die verantwortlichen Parlamentarier dies sogar als einen auch in der Krise notwendigen Beitrag zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Justiz angesehen haben. Was für die Anwaltschaft gilt, muss nach Ansicht des ADÜ Nord für die deutlich schlechter verdienenden, von der Justiz herangezogenen Sprachmittler/innen erst recht gelten.

Der ADÜ Nord möchte daher alle Kolleg/innen, die sich nunmehr zu einer Kündigung ihres etwaigen JVEG-Rahmenvertrags entschließen, zu diesem Schritt ermutigen. Hierin ist nicht nur eine Maßnahme der Selbstbehauptung gegenüber unfair agierenden, staatlichen Stellen, sondern zugleich die Artikulation eines berechtigten Protests und damit eine politische Tat zum Wohle des gesamten Berufsstandes zu sehen.

Um diesen Protest für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen, möchten wir die kündigenden Kolleg/innen herzlich einladen, auf der Facebook-Seite, der LinkedIn-Präsenz und/oder dem Twitter-Account des ADÜ Nord (#ich_kuendige) über die Kündigung ihres jeweiligen JVEG-Rahmenvertrags zu berichten. Laden Sie gern ein Foto Ihres Kündigungsschreibens hoch, um Ihre persönliche Emanzipation vom § 14 JVEG zu dokumentieren!

Wir möchten uns bereits heute bei den Kolleg/innen für ihren Mut und ihr Engagement bedanken, die diese Aktion des ADÜ Nord unterstützen! Außerdem können wir den kündigenden Kolleg/innen versichern, dass der ADÜ Nord seinen Einsatz für angemessene und faire Arbeits- und Verdienstbedingungen der Sprachmittler/innen fortsetzen und möglichst noch intensivieren wird.