Nach Jahrzehnten einer bloß landesrechtlichen Regelung der allgemeinen Beeidigung von Sprachmittlern hat die deutsche Bundesregierung sich seit dem Frühjahr 2019 erstmals selbst des Berufsrechts der für die Rechtspflege tätigen Dolmetscher und Übersetzer angenommen. Das allein ist unter historischem Blickwinkel schon etwas Besonderes. Die Bundesregierung macht nun von ihrer konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch und hat die Verabschiedung eines „Gerichtsdolmetschergesetzes“ (GDolmG) in Aussicht genommen. Ziel des GDolmG ist es, die Voraussetzungen für die allgemeine Beeidigung von Dolmetschern und Übersetzern bundesweit einheitlich zu regeln.
Der ADÜ Nord hat sich den vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) erarbeiteten Entwurf des GDolmG genauer angeschaut und auf Einladung des BMJV am 8. Oktober 2019 eine umfassende Stellungnahme hierzu abgegeben. Das Fazit: Leider reicht der Reformwille der Bundesregierung nicht über die Bestrebung einer bundesweiten Vereinheitlichung von Beeidigungsvoraussetzungen hinaus. Ansätze zu Reformen und Regelungen, die zu echten qualitativen Verbesserungen im Sinne einer ausschließlich und durchgehend professionellen Erbringung von Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen in der Rechtspflege führen würden, sind nicht erkennbar. Im Gegenteil.
Anders als bisher bereits vielfach landesrechtlich vorgesehen, verlangt das geplante GDolmG in fachlicher Hinsicht lediglich das Vorhandensein der „erforderlichen Sprachkenntnisse“. Kenntnisse der deutschen Rechtssprache oder gar der beteiligten Rechtssysteme werden ausdrücklich nicht länger gefordert. Auch scheint die Bundesregierung noch nie etwas von Dolmetschkompetenz im Sinne der Beherrschung von elementaren Dolmetschtechniken wie Simultan- und Konsekutivdolmetschen, Flüsterdolmetschen, Stehgreifübersetzen oder Notizentechnik gehört zu haben.
Dies ist mehr als bedenklich und insbesondere deshalb nicht hinnehmbar, weil verbindliches Europarecht, darunter insbesondere die Richtlinie 2010/64/EU, sowie die internationale Norm ISO 20228 über das professionelle Dolmetschen im rechtlichen Bereich (standard on legal interpreting) dem Bundesgesetzgeber aus gutem Grund viel strengere Vorgaben machen.
Es darf nicht vergessen werden, dass es der Bundesrepublik Deutschland durch die obige EU-Richtlinie aufgegeben ist, die Verfahrensrechte von Beschuldigten und Angeklagten in Strafverfahren, die der jeweiligen Amtssprache des EU- Mitgliedsstaats, hier des Deutschen, nicht oder nicht ausreichend mächtig sind, so zu wahren, dass die Betroffenen nicht nur Kenntnis von den gegen sie erhobenen Tatvorwürfen haben, sondern sich auch in vollem Umfang verteidigen können. Die Mitgliedstaaten, also auch die Bundesrepublik Deutschland, haben in diesem Zusammenhang den ausdrücklichen Auftrag der EU, gerade auch unter dem Aspekt der Sprachmittlung zu einem möglichst hohen Schutzniveau für die Betroffenen zu gelangen.
Wie der ADÜ Nord in seinem 12-seitigen Positionspapier nebst Anlagen ausführlich herleitet und begründet, bleibt die Bundesregierung nicht nur hinter dieser Zielvorgabe, sondern auch hinter ihrem selbst gestecken Ziel, „Strafverfahren zu beschleunigen und zu verbessern“, weit zurück. Deshalb hat der ADÜ Nord nicht nur eine Analyse der Unzulänglichkeiten des geplanten GDolmG vorgelegt, sondern ein eigenes innovatives Gesetzeskonzept entwickelt, das an die Wurzeln der Missstände geht, mit denen die Sprachmittlung in der Rechtspflege zu kämpfen hat.
Als Konkretisierung dieses Konzepts wird schließlich in Gestalt der Anlage 5 sogar ein eigener alternativer Gesetzentwurf eines „Rechtsdolmetschergesetzes“ vorgelegt. Dieser dient der exemplarischen Verdeutlichung, welche grundlegenden und innovativen Regelungen der Bundesgesetzgeber treffen sollte, um zu wirklichen Verbesserungen für die Sprachmittlung in der Rechtspflege und damit zu rechtsstaatlicheren Verfahren zu gelangen.
Es bleibt zu hoffen, dass die berechtigte Kritik an dem geplanten GDolmG aus der Sprachmittlungsbranche nicht ungehört verhallt und die unterbreiteten, sehr konkreten Verbesserungsschläge in den weiteren gesetzgeberischen Bemühungen des Bundes umfassende Berücksichtigung finden.